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Aufgrund der großen Bedeutung in der Kultur- und Medizingeschichte, der Forschung in der jüngeren Vergangenheit und dem Potential für die medizinische Nutzung wählt der interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde den Mönchspfeffer zur Arzneipflanze des Jahres 2022.


Mönchspfeffer, Keuschlamm (Vitex agnus-castus)

Eine Arzneipflanze mit langer Geschichte

Laut griechischer Mythologie wurde die olympische Göttin Hera auf der Insel Samos unter einem Lygosbaum oder Keuschbaum geboren. Hera vereinigte sich im Sinne einer „heiligen Hochzeit“ (Hochzeit zweier Götter) mit Zeus auf dieser Insel wieder unter einem Keuschbaum.

Der Name 'vitex' deutet auf zum Flechten geeignete Zweige hin, abgeleitet von lat. 'viere' (binden, biegen oder flechten). Die elastischen Zweige des Keuschbaums werden bis heute von Bauern in Griechenland und Italien zum Flechten von Zäunen und zum Festbinden der Weinreben genutzt.



'Agnus castus' leitet sich aus dem griechischen 'hagnös' (verehrt, heilig oder auch jungfräulich, keusch), dem phoentisch ähnlichen lateinischen 'agnus' (Lamm) sowie 'castus' (keusch, rein) ab. So war der Mönchspfeffer den Griechen ein Symbol der Keuschheit. Erst im Mittelalter prägten Albertus Magnus und Konrad von Megenburg in christlicher Tradition die heutige Kombination 'agnus castus' als 'keusches Lamm' im Sinne vom Lamm Gottes als Symbol der Unschuld und der Reinheit.

Die Vorstellung von Reinigung und Keuschheit bei Verwendung der Zweige als Lager spiegelt sich jedoch bereits in der Antike wider, ebenso
„weil er, getrunken, den Drang zum Beischlaf mäßigt“.

Dioskurides (1. Jahrhundert) beschreibt in seiner Arzneimittellehre (Cap. 134) den 3 bis 5 m hohen, baumartigen Keuschlammstrauch aus der Gattung Vitex, neuerdings eingeordnet innerhalb der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae). Mönchspfeffer ist vom Mittelmeerraum über Südwestasien bis hin zur Krim und Pakistan verbreitet. Er ist in unserem Klima winterhart, bevorzugt alkalischen, durchlässigen Boden und einen vor Wind geschützten, warmen und vollsonnigen Standort, idealerweise an der schützenden Hauswand oder in der Nähe einer Mauer.



Die hellbraunen, vierkantigen Zweige sind fein behaart, die kreuzweise gegenständigen Blätter handförmig gefingert, fünf- bis siebenzählig und aromatisch, pfeffrig-würzig duftend. Die eiförmig-lanzettlichen Fingerblättchen sitzen an kurzen Stielen, sind auf der Unterseite etwas heller und kurz filzig behaart.

Die von Juli bis August blühenden, duftenden Blütenstände in Violett, Blau, Rosa oder Weiß sind kleiner als die Blüten des Schmetterlingsflieders. Die wohlschmeckenden Samen, von den Italienern bis heute 'piperella' genannt, sehen aus wie Pfeffer und wurden bereits von den Mönchen als Gewürz genutzt. Botanisch zählen die bräunlich/rötlich-schwarz gefärbten und kugelförmigen Früchte zu den Steinbeeren. Beliebte Volksnamen sind Pfefferstrauch, Keuschbaum, Keuschlamm, Liebfrauenbettstroh, Abrahamstrauch, Athenbaum oder Tanis.


Moderne Forschung


In den letzten Jahrzehnten wurde der Wirkmechanismus von Zubereitungen aus den Früchten des Mönchspfeffers untersucht und dabei zeigte sich, dass tatsächlich die Sexualhormone beeinflusst werden. Das Prolaktin, ein die Milchdrüsen und Milchbildung anregendes Hormon, wird gesenkt und darüber auch andere Sexualhormone beeinflusst. So kann eine dämpfende Wirkung auf das sexuelle Verlangen sowohl bei Frauen als auch bei Männern durchaus erklärt werden. Zuviel Prolaktin stört aber auch den weiblichen Zyklus und ist oft ursächlich für das prämenstruelle Syndrom (PMS), Schwellung der Brüste (Mastodynie) und bestimmte Formen von fehlendem Eisprung. Entsprechende klinische Studien an Frauen mit diesen Erkrankungen zeigen eine überzeugende Wirksamkeit von arzneilichen Mönchspfeffer-Extrakten.



Diese das Prolaktin senkende Wirkung von Mönchspfeffer passt aber überhaupt nicht zu der seit der Antike tradieren Wirkung zur Anregung der Milchbildung. Für diese behauptete Wirkung fehlt bis heute der Nachweis durch überzeugende klinische Studien. Dennoch gibt es Arzneimittel auf sogenannter „traditioneller“ Grundlage, welche aufgrund langjähriger Verwendung in Europa angeboten werden. Einige kritische Fachleute warnen daher vor Gebrauch dieser Mittel zur Anregung der Milchbildung, weil sie der Meinung sind, dass Mönchspfeffer im Gegenteil zum Abstillen sinnvoll sei. Letztendlich würde nur eine neue, gut geplante klinische Studie die Antwort geben, ob Mönchspfeffer vielleicht doch über eine komplexere Wirkung in einer passenden Dosierung die Milchbildung zu fördern vermag. Auch die historischen Texte sind noch einmal gründlich auf etwaige Übersetzungsfehler und Verwechslungen in der langen Rezeptionsgeschichte zu analysieren.


Der interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde kürt seit 1999 die Arzneipflanze des Jahres. Vorrangiges Ziel ist es, an die lange und gut dokumentierte Geschichte von Pflanzen in der europäischen Medizin zu erinnern. Aus dieser Geschichte können wichtige Hinweise für eine pharmazeutische und medizinische Nutzung altbekannter Heilpflanzen extrahiert werden.

Gegründet wurde der Studienkreis 1999 an der Universität Würzburg unter maßgeblicher Beteiligung von Prof. Franz-Christian Czygan († 2012) und Dr. Johannes Gottfried Mayer († 2019). Heute gehören der Jury Mediziner, Pharmazeuten, Biologen und Historiker verschiedener Hochschulen und Institutionen an.

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