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Der Andorn kann ohne Übertreibung zu den ganz bedeutenden Arzneipflanzen der Klostermedizin gezählt werden. Doch schon die antike Medizin nutzte ihn ausgiebig. So schreibt der griechische Arzt Dioskurides um 60 nach Chr. in seiner ‚Materia medica‘, der wichtigsten Arzneimittellehre der Antike, nach einer schönen Beschreibung der Pflanze, dass die Blätter oder Samen bei Atemwegserkrankungen (Phthisis, Asthma, Husten) in Wasser gekocht oder der frische Saft mit Honig eingenommen wurden. Weitere Anwendungen sind nach Dioskurides ausbleibende Menstruation oder Nachgeburt, ebenso schwere Geburt, Tierbisse, Geschwüre, Ohrenschmerzen und Gelbsucht. Mit Wein und Honig als Salbe genommen soll er die Sehkraft verbessern.

Andorn - Marrubium vulgare L.Etwa zeitgleich mit Dioskurides schrieb Plinius der Ältere seine große Naturenzyklopädie ‚Naturalis Historia‘. Plinius lobt den Andorn außerordentlich.
Hier das gesamte Kapitel in deutscher Übersetzung:
„Die meisten haben den Andorn empfohlen, den die Griechen prasion (eigentlich „Lauch“), andere linostrophon (Leindreher), einige philopais („kinderlieb“) oder philochares (Liebreiz) nennen, als eines der vorzüglichsten Kräuter; er ist zu bekannt, als dass es beschrieben werden müsste.
Seine Blätter und sein Same sind, wenn zerrieben, von Nutzen gegen Schlangenbiss, bei Brust- und Seitenschmerzen (Lungen- oder Brustfellentzündung) und bei hartnäckigem Husten. Auch für diejenigen, welche Blut ausspeien, ist der Andorn ganz besonders nützlich, wenn man seine Zweige mit Kolbenhirse in Wasser kocht, damit die Herbheit des Saftes gemildert werde.
Auf Skrofeln (scrofula, Halsdrüsengeschwulst) legt man ihn mit Fett.
Manche lassen von dem grünen Samen so viel, wie zwei Finger fassen können, mit einer Handvoll Dinkel abgekocht, unter Zusatz von etwas Öl und Salz, auf nüchternen Magen gegen Husten trinken. Andere stellen bei gleichem Befunden nichts den Säften des Andorns und Fenchels gleich, wenn sie zu drei sextarii (Maßeinheit, ca. 540 ml) ausgedrückt und auf zwei sextarii eingekocht sind, dann ein sextarius Honig zugefügt, wiederum bis auf zwei sextarii eingekocht werden, und man so täglich einen Löffel voll in einem kyathos (45 ml) Wasser zu sich nimmt.“

Weitere Anwendungsgebiete sind Erkrankungen der männlichen Geschlechtsteile, Flechten, Brüche, Verstauchungen, Krämpfe und Sehnenerkrankungen. Er gilt als Abführmittel mit Salz und Essig, als menstruationsfördernd und soll bei Ohren- und Nasenleiden sowie bei Gelbsucht und zur Verminderung der Galle helfen. Wie kaum ein anderes Mittel galt Andorn als wirksam gegen Gifte. Plinius hält Andorn auch für harntreibend (diuretisch), wobei er darauf hinweist, dass bei Blasengeschwüren und Nierenkrankheiten Vorsicht geboten ist. Außerdem soll Andorn die Sehkraft verbessern, Abszesse öffnen und wurde mit Fett gegen Hundsbisse eingesetzt.

Die ‚naturalis Historia‘ war eine der wichtigsten Quellen der Klostermedizin. Die Indikationen von Dioskurides und Plinius werden deshalb fast immer genannt, wenn auch nicht alle.

Im ‚Lorscher Arzneibuch‘ (seit 2013 Weltdokumentenerbe), entstanden im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts, ist der Andorn eine der am häufigsten genannten Pflanzen. So wird er zusammen mit Ysop, Ingwer und Honig zu Hustenpillen verarbeitet (2. Buch, Rezept 58).

Walahfrid Strabo schreibt im ‚Hortulus‘ in Kapitel 10 (Marrubium): “geschätztes, kräftig wirkendes Kraut”. Lindert schwere Beklemmungen der Brust (als bitterer Trank eingenommen), ganz besonders, wenn er ganz heiß getrunken wird. Soll bei Eisenhutvergiftung (durch Stiefmütter!) hilfreich sein.

Odo Magdunensis schreibt in ‚ De virtutibus herbarum‘, besser bekannt als ‚Macer floridus‘ (spätes 11. Jh.), Andorn sei erwärmend und trocknend im 2. Grad.
Die Abkochung von Kraut oder Samen soll Schwindsüchtige wunderbar heilen und auch verschiedenen Brustkrankheiten. Zusammen mit Schwertlilie hilft Andorn bei Asthma und Husten. Er beschleunigt die Geburt und die Nachgeburt, reinigt Wunden und heilt Geschwüre sowie Seitenschmerz (Brust- oder Rippenfellentzündung). Andorn stärkt die Sehkraft und hilft bei Gelbsucht. Mit Rosenöl wird er bei Ohrenschmerzen empfohlen. Bei Blasen- und Nierenleiden ist von der Anwendung abzuraten.

‚Circa instans‘ (um 1140):
An der Medizinschule von Salerno, die sich bis ins 10. Jh. zurückverfolgen lässt und im 12. Jh. ihren Höhepunkt erreichte, entstand gegen Mitte des 12. Jh. das sog. ‚Circa instans‘ (benannt nach den ersten beiden Worten der Vorrede). Autor war wahrscheinlich Matthaeus Platearius, ein Vertreter aus der damals sehr berühmten Ärztefamilie der Platearii. Das Werk bietet fast modern anmutende Drogenmonographien und wurde zu der wichtigsten Arzneimittellehre des Mittelalters. Man kann wohl vom ersten Europäischen Arzneibuch sprechen. Der Andorn (marrubium) wird im 146. Kapitel der Urfassung behandelt.
Nach dem ‚Circa instans‘ wird vor allem das Kraut verwendet, manchmal auch die Rinde der Wurzel. Andorn ist erwärmend und trocknend im dritten Grad. Auf Grund dieser Eigenschaften habe er „die Fähigkeit, Säfte aufzulösen und zu verzehren; infolge seiner Bitterkeit wirkt es harntreibend; denn es löst auf und öffnet.“
Anwendungen und Indikationen: Gegen ein Leiden an Brust und Atmungsorganen, also Asthma als Folge von kaltem, klebrigem Körpersaft (wohl „Phlegma) gibt man Andornlatwerge diaprassium, die nach dem Andorn (prassium) so heißt. Oder man geht folgendermaßen vor:
Rezepte: Man stellt eine Latwerge her aus einem Teil Andornsaft und fünf Teilen von abgefeimtem Honig: mach daraus eine Abkochung, bis sie einigermaßen dick geworden ist; gib dann Pulver von Bocksdorngummi und Süßholz bei und dazu Süßholzsaft: das tut gut gegen das vorgenannte Leiden. Oder du machst wenigstens Andornpulver mit abgefeimtem Honig an unter der Beigabe von gepulvertem Süßholzsaft.
Gegen Husten hilft Wein, in dem Andorn und Dörrfeigen abgekocht worden sind.
Gegen Harnzwang und Harnkrampf gibt man Wein, in dem Andorn abgekocht worden ist. Ferner stellt man ein Pflaster her aus dem Andornkraut selbst, in Wein und Öl gekocht, und legt es übers Schambein. Ebenso geht man vor bei Bauchgrimmen aus kalter Ursache.
Gegen Hämorrhoiden, die aufgebläht sind, aber noch nicht fließen, bereitet man ein Sitzbad aus Salzwasser und Wein, in dem Andornkraut abgekocht worden ist. Danach stellt man ein Zäpfchen her aus Andornpulver, angemacht mit Honig; oder man kocht Andornpulver oder Andornsaft mit Moschusöl, tunkt Baumwolle darein und gebraucht sie als Zäpfchen.
Gegen die Darmwürmer reicht man Andornpulver, mit Honig angemacht.
Gegen die Ohrwürmer wird Andornsaft in die Ohren geträufelt.
Gegen die Verhärtung und Verstopfung der Milz geht man folgendermaßen vor:
Rezept: Man weicht Wurzelrinde vom Andorn mit Andornkraut zwölf Tage ein in Wein und Öl, macht eine Abkochung, seiht ab, fügt der Abseihung Bienenwachs und Öl hinzu und stellt so eine ausgezeichnete Salbe gegen dieses genannte Leiden her.

Hildegard von Bingen, ‚Physica‘ (ca. 1150-60):
Andorn ist warm und hat reichlich Saft. Hilft gegen verschiedene Krankheiten (Taubheit, Halsentzündung, Husten, verletzte Eingeweide).
Gegen taube Ohren: Man koche Andorn in Wasser und lasse den Dampf warm in die Ohren einziehen und lege (als Umschlag) den Andorn warm auf die Ohren und um den ganzen Kopf.
„Er wird besser hören: weil die Wärme des Andorn rau und sein Saft bitter ist und weil er die verklebten Säfte  und den Dunst, wovon die Ohren taub werden oder dröhnen, so verjagt, wie der Wind, der den Staub fort wirbelt.
Wessen Kehle krank ist, der koche Andorn in Wasser, seihe das gekochte Wasser durch ein Tuch, setze die doppelte Menge Wein hinzu und lasse das Ganze unter Beigabe von reichlich Schmalz nochmals in einer Schüssel aufkochen. Das trinke er oft und er wird für seine Kehle Heilung finden, weil die starken und bitteren Kräfte des Andorns, mit Wein und Schmalz temperiert, die bedrohlichen Halskrankheit beseitigen.
Wer an Husten leidet, der nehme Fenchel und Dill zu gleichen Teilen, gebe ein Drittel Andorn hinzu und koche das Ganze mit Wein. dann seihe er es durch ein Tuch und trinke es, so wird der Husten aufhören. Der Husten kommt nämlich von einer schmerzenden Lunge und Leber, diese Schmerzen lindert der Andorn, während der Dill den Husten austrocknet und der Fenchel mit dem gesüßten Wein die Genesung bewirkt.
Wer kranke oder gebrochene Eingeweide hat, koche Andorn mit Wein unter Hinzufügung von reichlich Honig, lasse es nach dem Kochen in dem Topf und trinke davon oft, nachdem es abgekühlt ist. Es heilt die Eingeweide.“

An diesen Indikationen und Anweisungen hat sich bis ins 18. Jahrhundert nicht viel geändert. Auch die Väter der Botanik, wie Leonhart Fuchs, brachten nicht viel Neues hinzu. Andorn ist nach wie vor eine zugelassene, wenn auch eher unbekannte Arzneipflanze. Interessant ist die Droge aufgrund ihres hohen Anteils an Bitterstoffen sowie ihrer schleimlösenden Wirkung.

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